
Der „Ochsenweg“
Die kulturhistorische Wirbelsäule des Landes
Der „Ochsenweg“ ist der älteste Fernweg Schleswig-Holsteins. Heute nur noch in Spuren erhalten, verlief er einst vom dänischen Viborg über die Landesmitte bis an die Elbe und schloss über Niedersachsen an das weitverzweigte historische europäische Fernwegenetz an. Während zwischen dänischer Grenze und Eider eine Haupttrasse entstand, teilte sich der Weg im Holsteinischen südlich von Rendsburg und vereinigte sich kurz vor seinem Zielort Wedel in Uetersen wieder.
- Weg der Ochsen
Seit Mitte des 13. Jahrhunderts berichten schriftliche Aufzeichnungen vom Ochsenhandel. Über 700 Jahre lang war demnach die Ochsentrift aus Dänemark ein prägender Bestandteil der Handelsgeschichte des Landes Schleswig-Holstein. Es betrifft ab Mitte des 15. Jahrhunderts besonders die im Frühjahr stattfindenden Magerviehtriften durch Jütland zum Zielort Wedel. Sie nutzten aber bereits vorhandene Wegeverbindungen – zu jener Zeit überwiegend unbefestigte, sandige Pisten. Unter dem Eindruck der jährlich in Spitzenzeiten bis zu 50.000 Tiere umfassenden, aus mehreren Herden bestehenden Triften hat sich der Name „Ochsenweg“, „Ossenwech“ oder auch „Ossenpadd“ etabliert und blieb bis heute vielerorts als Straßen- und Wegenamen erhalten.
Der Ochsenhandel war für Beteiligte ein einträgliches Geschäft, mit dem nicht nur die Viehhalter und -händler gutes Geld verdienten, sondern auch die Orte mit Ochsenmärkten auf vielfältige Weise profitierten. Darüber hinaus wurde an mehreren Stellen im Land „Maut“ in Form von Wegezoll kassiert, der die landesherrliche Kasse aufbesserte. Anrainern des „Ochsenweges“ bot die Viehtrift ebenfalls Möglichkeiten, ihre Kasse aufzubessern, indem sie Beherbergung, Stellflächen und Stallung anboten und durch Verkauf von Heu und Stroh etwas hinzuverdienten. Letztlich verursachte die Trift auch „Personalkosten“. Kam man für eine kleine, vielleicht 50 Tiere umfassende Herde mit 3-4 Treiber aus, waren es natürlich für größere, bis zu 1000 Tiere starke Aufgebote deutlich mehr. Ochsenknechte“ oder „Futterschaffer“ wurden dabei je nach ihren Aufgaben entlohnt.
Die Hauptakteure waren natürlich die Ochsen, die sich auf den wochenlangen Triften selbst zu Markte trugen. Ohne diesen folgenreichen, unfreiwilligen Einsatz hätte es das Thema Ochsenweg nie gegeben!

Abb. Der „Heerweg-Stein“ südlich von Viborg (Midtjylland, DK) am nördlichen Ausgangspunkt des „Hærvej“.

- Weg der Reisenden und Pilger
Gehört das Reisen für uns heute zu den Grundbedürfnissen des Lebens, war es vor Zeiten, zumal mit vielen Unsicherheiten, Einschränkungen und Beschwernissen behaftet, hierzulande eher die Ausnahme – es sei denn, es gab einen besonderen Reisegrund! Hierunter fällt besonders die Pilgerreise, für die man offensichtlich mannigfaltige Schwierigkeiten in Kauf nahm.
Pilgerreisen fanden vornehmlich ab der vollzogenen Christianisierung Nordeuropas im 10./11. Jahrhundert bis zur Reformation um 1540 statt. Danach verloren sie rasch an Attraktivität. Zur Verrichtung religiöser Pflichten strebten die Menschen als Pilger zu den heiligen Stätten der Christenheit in Rom, Jerusalem und wenig später auch auf dem „Jakobsweg“ nach Santiago de Compostela in Spanien. Bemerkenswert erscheint hierbei der Bericht des Abtes Nikolaus von 1150, da er für isländische Pilger ab Viborg in Mitteljütland über Skodborg, Schleswig, Itzehoe und bis zum Elbübergang Richtung Stade haargenau den Weg empfahl, der später „Ochsenweg“ genannt werden wird.
Noch heute erinnern in den Städten und Orten am Weg Einrichtungen, die sich ursprünglich die Versorgung der Pilger zur Aufgabe gemacht hatten, an diese Zeit. Erwähnung bedürfen hier die „Gertruden-Gilden“ und „-Hospitäler“ z. B. in Hadersleben, Flensburg und Itzehoe, aber auch zahlreiche alte Kirchen – St. Georg in Oeversee, St. Peter in Sieverstedt, St. Marien in Rendsburg, St. Martin in Nortorf, St. Laurentius in Itzehoe, um nur einige zu nennen. Besonders ab dem 14./15. Jahrhundert nahm der Umfang der Pilgerreisen zu, da die Versorgung der oftmals mittellos Reisenden an den Stätten des alten Fernweges zunächst als zuverlässig galt. Sie wurde aber im Laufe der Zeit stärker kommerzialisiert. Es entstanden seit dem 15. Jahrhundert am „Ochsenweg“, wohl einem allgemeinen Trend jener Zeit an den Hauptverkehrswegen des Landes folgend, zahlreiche Gastwirtschaften, sog. „Krüge“. Sie existieren bisweilen noch heute und berufen sich damit auf eine mehrhundertjährige Tradition.
Nicht selten ranken sich um diese „Krüge“ spektakuläre Geschichten, wie z.B. die vom Karten spielenden dänischen König Hans im Toldsteder Krug bei Apenrade, oder dem unwissenden Gastwirt aus Krogaspe bei Nortorf, der sich zur Aufbewahrung der Milch sämtliche Schüsseln des Dorfes borgen wollte und eben die noch heute mit dem Gasthof bei Kropp tradierte Story von den Wegelagerern im Ödland zwischen Schleswig und Rendsburg („Du büs` Kropper Busch noch nie vörbi“).
Da „Ochsenwegkrüge“ nicht nur Beherbergung und Verpflegung anboten, sondern auch Dienstleistungen wie Pferdewechsel, Zughilfen und einfache Reparaturleistungen ermöglichten, gehörten sie rasch zum sich entwickelnden Reisenetzwerk der damaligen Zeit. Zahlreiche überlieferte Berichte schildern das „Krugleben“. Darin haben die jährlich wiederkehrende Ochsentrift, aber auch mit Anekdoten versehene Erzählungen von Fernreisenden einen lebendigen Eindruck hinterlassen.
Bedeutende „Ochsenwegkrüge“ in Schleswig-Holstein lagen z.B. in Oeversee, Stenderupau, Dannewerk, Kropp, Jevenstedt, Nortorf, Krogaspe und Elmshorn – um nur einige herauszugreifen.

Abb. Titelbild des ersten deutschen Reiseführers für Santiagopilger (gedruckt 1521).


Abb. Bilschau Krug, bereits 1690 als „Krug an der Heerstraßen“ erwähnt.

Abb. Zeitgenössische Darstellung einer Krugszene

Abb.: Gasthausszene in einem Dorf bei Flensburg
- „Heerweg“
Da der alte Fernweg auf der Nord-Süd-verlaufenden „Cimbrischen Halbinsel“ – i.e. Jütland und Schleswig-Holstein – überwiegend den flachen, relativ vegetationsarmen Geeststreifen aufsuchte, bot er sich vor Zeiten immer auch als militärisches Aufmarschgebiet an. Schriftliche Quellen berichten ab der Zeit um 800 n. Chr. von diversen kriegerischen Auseinandersetzungen. Zunächst waren es vorrangig auf der Schleswiger Landenge ausgetragene Konflikte, in denen es um die Herrschaft über den wichtigen Handelsort Haithabu ging. Die Konfliktparteien von damals – (dänische) Wikinger, Franken und Slawen – „vererben“ nach der Zerstörung von Haithabu 1066 die Auseinandersetzungen quasi nahtlos an die Frühzeit des Werdens der Herzogtümer Schleswig und Holstein mit der dänischen Krone. Auch der „Dreißigjährige Krieg“ (1618-48) hat im Land – allen voran in Rendsburg und zwischen Itzehoe und Uetersen – Spuren hinterlassen, ebenso die „Nordischen Kriege“ (1674-79 und 1700-21), last but not least die deutsch-dänischen Kriege (1848-50 und 1864) und am Danewerk sogar der 2. Weltkrieg!
Letztlich verging seit den Zeiten der frühesten schriftlichen Zeugnisse über kriegerische Auseinandersetzungen bis 1945 kein Jahrhundert, in dem es am und um den Weg nicht auch zu Kämpfen kam. Die Bezeichnung „Heerweg“ hat folglich durchaus eine Berechtigung, wenngleich sie im Mittelalter auch allgemein für Fernwege üblich war. Darüber hinaus treten zwischen der Eider und dem Limfjord in Dänemark zahlreiche, z.T. noch als archäologische Denkmäler aufspürbare vorgeschichtliche Wegesperren auf, deren bedeutendste das „Weltkulturerbe Danewerk“ bei Schleswig ist. Vom Danewerk bis an den Limfjord im Norden Jütlands sind es nicht weniger als 11 Wegesperren, deren Alter – so auch das vom Danewerk – bis in prähistorische Zeiten zurückreicht und damit in eindrücklicher Weise zeigt, dass es hier bereits vor den ersten schriftlichen Erwähnungen militärische Konflikte gegeben haben wird!
Allein das Danewerk mit seiner über 15 Jahrhunderte währenden Geschichte bietet letztlich eine Gesamtschau der militärhistorischen Situation des „Heerweges“ bis hin zu den gottlob überwundenen, konfliktbeladenen Zeiten zwischen dem Königreich Dänemark und Schleswig-Holstein.
Während die Bezeichnung „Heerweg“ in Schleswig-Holstein dem Wegenamen „Ochsenweg“ nachgeordnet wird, steht sie in Dänemark als „Hærvejen“ (i.e. der Heerweg) unter Bezug auf die 1930 von Kulturhistoriker Hugo Matthiessen publizierte Analyse an erster Stelle. Sie verherrlicht jedoch keineswegs die zum Namen führenden Ereignisse, sondern gilt als gut reflektiertes Beispiel für eine zeitgemäße Geschichtsbetrachtung.

Abb. Bildliche Darstellung Rückzug der dänischen Armee von Danewerk (5.-6. Febr. 1864)

Abb. Vorgeschichtliche und historische „Wegesperren“ zwischen Danewerk und Limfjord.

Abb. Weltkulturerbe Danewerk. Sog. Margarethenwall bei Kurburg, OT von Dannewerk, Kr. SL-FL
- Vorgeschichtlicher Weg
Archäologische Quellen geben uns heute eindeutige Hinweise auf ein prähistorisches Alter des Weges. Hierfür liefert gerade auch die Trassenführung in Schleswig-Holstein hervorragende Aufschlüsse, da sich mit Blick auf die Cimbrische Halbinsel Engpässe finden, deren Querung seit Jahrtausenden alternativlos war. Dies gilt zumindest seit der „älteren Nordischen Bronzezeit“ (1700 – 1100 v. Chr.).
Da sich in Schleswig-Holstein und Südskandinavien ein eigenständiges, durch zahlreiche Funde belegtes Bronzehandwerk entwickelte, man aber im gesamten Nordeuropa über keinerlei Kupfer- und Zinnlagerstätten als den maßgeblichen Rohstoffen für das damalige Metallhandwerk verfügte, ergab sich eine Abhängigkeit von anderen Regionen. Wissenschaftliche Analysen liefern heute den Beweis, dass besonders das Kupfer aus den Ostalpen um Bischofshofen herum stammte! Daraus folgt schon per Plausibilität, dass es über weite Wege angeliefert worden sein musste!
Sogenannte Grabhügelwege scheinen vorgeschichtliche Wegeverläufe nachzuzeichnen. Mit ihnen handelt es sich um Aufreihungen von bisweilen mehrere Meter hohen Grabhügeln. Sie sind als Bestattungsmonumente das bestimmende Kulturelement jener Epoche. Einst zu Tausenden vorhanden, ist ihre Zahl durch landwirtschaftliche und bauliche Eingriffe erheblich geschrumpft. Die Archäologische Landesaufnahme verzeichnet sie jedoch noch in großer Zahl.
Dies betrifft besonders die Umgebung des Ochsenweges im Danewerk-Umfeld, wo sich auf einer mehr als 2 km langen Linie über achtzig bis zu 5 m hohe Grabhügel nachweisen lassen. Im einstigen Ödland nahmen sie quasi den Verlauf des späteren Ochsenweges vorweg und liefern ein frühes Datum seiner Existenz!
Älter als bronzezeitlich ist der Weg aber wohl nicht. Denn für noch ältere Zeiten fallen zwei grundlegende Unterschiede auf: 1. In der Jungsteinzeit (4200-1700 v. Chr.) wirtschaften die Menschen relativ autark. Zur Aufrechterhaltung der Lebensbedingungen nötige Ressourcen liegen in mehr oder minder nahen Einzugsbereichen. 2. Der Meeresspiegel liegt tiefer. Mit mehr als drei Meter unter dem bronzezeitlichen Niveau wirken sich der Nordsee-Tidenhub und Hochwasserstände noch nicht so stark auf Eider, Treene und Sorge, aber auch die Elbezuflüsse des Landes aus. Damit erscheint es durchaus möglich, dass es weitere relevante Flussübergänge und Furtstellen gegeben hat.
Wenngleich nicht von vornherein das Vorhandensein zumindest von Teilstücken des alten Weges in der Jungsteinzeit ausgeschlossen werden kann, verdichten sich erst mit der älteren Bronzezeit die Indizien und Plausibilitäten dergestalt, als dass man den als „Ochsenweg“ in die Landesgeschichte eingegangenen Altweg als alternativlose Hauptverkehrsader – und damit als „kulturhistorische Wirbelsäule des Landes“ – bezeichnen darf.

Abb. „Grabhügelweg“ westlich von Schleswig (kleine rote Kreise und Punkte).